Workshops beginnen ja häufig damit, die Gruppe etwas aufzulockern, kennenzulernen. Darauf lassen sich die Schüler und Schülerinnen des Religionskurses von Judith Moser der 12. Jahrgangsstufe am Freitag, den 10 Februar in der 3. Bis 5. Stunde gerne ein. Wie sie eben sind, die Bad Waldseer Jugendlichen. Wer hier so kurz vor der Hochfasnet aus dem Ruhrpott kommt, weiß innerhalb von fünf Minuten, was des „Häs isch“ und, dass es einem hier ganz und gar nicht langweilig wird, sondern, dass es gute Gründe gibt, sich auch die Zukunft genau hier, in Oberschwaben, vorstellen zu können. „Ich seh schon, kann das sein, dass die „Fasnet“ hier so wichtig ist, wie Weihnachten?“, fragt Yilmaz hier also nach kurzer Zeit und erfährt beim Kennenlernspiel, wie lustig und temperamentvoll es bei der Jugend hier zugeht und, was hier „so Brauch isch“. Der Autor und Träger des Bundverdienstkreuzes hat schon in vielen Zusammenhängen gearbeitet. So gibt er nicht nur Workshops gegen Antisemitismus und Rassismus in Schulen in ganz Deutschland, sondern arbeitet auch mit Gefängnisinsassen, die wegen rassistischen Straftaten im Gefängnis sitzen. Er ist eine Persönlichkeit, kommt scheinbar spielend mit den Jugendlichen ins Gespräch, ohne sich anzubiedern, ohne große Reden zu schwingen. Er fängt einfach an, zeigt sich interessiert und sagt selbst während des Workshops wenig, aber Wichtiges. Redet er, lässt er Fakten, Erfahrung, persönliche Erlebnisse aus seiner Arbeit überzeugen. Was er aber am besten kann, das ist, die Jugendlichen miteinander ins Gespräch zu bringen. Ein einfaches Szenario eröffnet die Sphäre des wirklich demokratischen Miteinanders. „Positioniert euch im Raum! Trifft die folgende Aussage deiner Meinung nach zu 0% oder zu 100% zu? Mag sich jemand dazu äußern? Möchtet ihr euch umpositionieren?“ Das sind die Fragen, mit denen Yilmaz arbeitet und das Klassenzimmer, den Kennenlernkreis nach und nach verwandelt. Von noch harmlosen Positionierungen zu den Fragen nach der eigenen Herkunft, derer der Eltern, ob man sich eine Zukunft im Ausland vorstellen könne (oder auch nur außerhalb Oberschwabens) ging es über zu politischeren Themen.

Im Klassenzimmer entstand immer wieder Bewegung, mal Pausieren und Nachdenken, mal Betroffenheit, dann wieder ein Impuls, aber nie eisiges Schweigen. Oppositionen formten sich über die Diskussionen zu Runden des Austausches. Lebendige Demokratie!

So sollte die Kursstufe sich entscheiden, wie sie sich positionieren könnten zu der Äußerung: „ Der Islam gehört zu Deutschland“ oder „Rechtsextremismus gehört zu Deutschland“, „Ich habe schon mal Vorurteile über Juden gehört“, „Ich habe schon mal eine jüdische Person kennengelernt“. So kam zwischen diesen Aufstellungen der Einzelnen im Raum immer wieder eine Zwischendiskussion auf, an der sich die Schülerinnen und Schüler rege beteiligten, ohne sich gegenseitig das Wort abzuschneiden. Es entstand eine Atmosphäre des bedingungslosen Austausches, Demokratie nicht als leere Worthülse, sondern als erlebbares Phänomen. Und als dann alle auf der Seite 0% standen, weil niemand je bewusst einen jüdischen Menschen kennengelernt hatte, ließ Yilmaz die Stille zu, um, wie auch an anderer Stelle, Impulse zu geben. Kurze, pointierte Denkanstöße, politische Informationen, um aufzuzeigen, dass es bei Radikalisierungen nur in großen Ausnahmefällen um wirkliche Begegnungen geht oder schlechte Erfahrungen, sondern um Menschen, die aus anderen, persönlichen Gründen in Krisen geraten sind. Sie sind im Gefängnis gelandet, weil sie aus schweren Krisen, familiär belastenden Situationen allein gelassen nicht mehr herausfinden konnten und in diesem Moment ihnen jemand eine sehr einfache Lösung als Wahrheit verkaufte, sozusagen Ideologien, Manipulationen, die krisengeschüttelten jungen Menschen das Gefühl geben, aus der Ohnmacht herauszukommen, scheinbar wieder stark und mächtig zu sein.

Yilmaz kennt sie irgendwie alle möglichen Fälle: Die Jugendlichen aus kleinbürgerlichen Familien, die plötzlich zum IS wollen, Rechtsradikale, in deren Umfeld gar keine Migranten leben, die aber für die eigene Misere gelernt haben Sündenböcke zu finden, die Fußballer im Ruhrpott, wo er lange als DFB Schiedsrichter gepfiffen hat und angeschrien wurde: „Schiri, du Jude“. Und plötzlich wieder so ein typischer Yilmaz-Impuls: Nebenher arbeite ich auch für den Antisemitismus Beauftragten im Innenministerium und jede Woche erreichen uns Meldungen von Schulen – zum Beispiel antisemitische Übergriffe an einer bayerischen Schule. Ein 35% Anstieg in nur einem Jahr in ganz Deutschland.

Dann wieder ein Bericht von Workshops. Wisst ihr, wenn ich die Frage nach der Zukunft in Deutschland einer muslimischen oder jüdischen Gruppe Jugendlicher stelle, wird deutlich, dass sie irgendwie immer „auf gepackten Koffern“ leben, weil sie sich nicht sicher fühlen.

Wichtig ist mir nicht, dass ich eure Aussagen werte, sondern dass ihr seht, wie interessant verschiedene Perspektiven sind, dass es nicht schlecht ist, einmal die Perspektive zu wechseln, dass bei Begegnungen mit Fremdem die Begleitung entscheidend ist, wie bin ich durch meine Familie geprägt? Und, dass viele Phänomene durch das Schweigen vermittelt werden und dass, wenn Schweigen dominiert, die Verunsicherung größer wird und damit der Nährboden für jegliche Art antidemokratischer Strömungen gelegt wird.

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